Kunst & Kultur

„Die Büchse der Pandora“ – Szenenanlyse nach Béla Balázs

20. Mai 2010


Analysiert wurde die Szene zwischen 6:30 und 8:30

1. Einleitung
Anhand von Béla Balázs Theorie wird hier eine Szene aus dem Film “Die Büchse der Pandora” von Georg Wilhelm Pabst analysiert. Der Film wurde 1929 in Deutschland gedreht und beruht auf dem Drama von Frank Wedekind. Die Hauptrolle Lulu spielt die amerikanische Schauspielerin Louise Brooks. Es handelt sich um folgende Szene: Lulu steht vor dem Spiegel, als plötzlich ein Mann hinter ihr auftaucht. Er gibt ihr eine Waffe und will dass sie sich selbst umbringt.
Im folgenden Hauptteil wird auf die einzelnen Punkte des Referates in Bezug auf die Szene eingegangen.

2. Hauptteil

a. Gebärden und Phyiognomie
Für Balázs sind die Gebärden wichtig, er meint: “Nicht-sprechen heißt nicht Nichts-zu-sagen-Haben.” Dies wird auch in diesem Ausschnitt gezeigt. Lulu und ihr Gegenüber sprechen nur wenig, sagen aber viel durch ihre Taten und ihren Gesichtsausdruck. Hierbei spielt der Gesichtsausdruck von Lulu eine wichtige Rolle. Als sie ihre Kette ablegt wirkt sie fröhlich und gelassen, dann tritt jedoch der Mann hinter sie. Lulu sieht ihn nur im Spiegel, ihr Gesichtsausdruck und ihre Haltung verändern sich. Ihr Körper wirkt angespannt, sie atmet schneller und in ihren Augen sieht man die Angst. Sie weicht langsam zurück. Dabei kommt es zu einer Großaufnahme ihres Gesichtes, ihre Augen verkleinern sich und sie schützt sich mit ihren Händen. Ihr ganzer Körper zeigt, dass sie Angst hat. Darauf wird ein Gegenschuss von einer Nahaufnahme des Mannes gezeigt. Sein Gesicht wirkt kühl und erstarrt, er verzieht keine Mine. Der Blick der Kamera richtet sich immer auf die Schauspieler. Es ist der Schauspieler im Vordergrund, dies ist auch in Balázs Sinne.

b. Großaufnahme
Laut Balázs ist diese das wichtigste Ausdrucksmittel des Filmes. In diesem Ausschnitt ist die Kamera sehr nah an den Protagonisten, so entsteht eine Nähe und der Zuschauer fühlt sich als würde er mitten drin sein. Zunächst werden Großaufnahmen von Lulu und von dem Mann gezeigt, hier erkennt man die Gesichtsausdrücke und die Mimik. Der Zuschauer erkennt genau, was in den Schauspielern vorgeht und welche Gefühle sie zu haben scheinen. Als der Mann Lulu die Waffe geben will, wird dies in einer Großaufnahme gezeigt. Man erkennt deutlich die Hand von Lulu, die sich wehrt die Waffe zu nehmen. Durch die Großaufnahmen wird deutlich gezeigt was passiert. Balázs meint auch, dass entscheidende Momente der Handlung in Großaufnahmen gezeigt werden, dies ist auch in dieser Szene der Fall. Es wird deutlich gezeigt, dass Lulu ein ängstliches Gesicht hat, der Mann ausdruckslos ist und Lulu die Waffe nicht nehmen will und ihre Hände verkrampft.

c. Raum
Zunächst sieht man Lulu vor dem Spiegel stehen, der Zuschauer, sieht somit durch ihre Augen, aber auch sie vor dem Spiegel. Danach wechselt der Blick ganz stark, man sieht durch die Augen des Mannes Lulus Gesicht und seine Hand. Danach sieht man kurz mit Lulus Augen das Gesicht des Mannes. Erst als Lulu die Waffe in der Hand hält werden beide Protagonisten zusammen gezeigt. Der Raum ist erzeugt ein Stimmungsbild. Der Spiegel zeigt uns Lulu durch ein zweites Medium, durch das anschleichen des Mannes wird Angst erzeugt, sowohl im Zuschauer als auch in der Protagonistin. Neben dem Spiegel ist eine Lampe, durch die der Raum beleuchtet wird. Das Licht ist sanft und erzeugt Schatten an der Wand, aber auch an den Protagonisten. Als der Mann Lulu die Waffe in die Hand gibt, wird diese von seinem Schatten eingehüllt. Dies könnte eine Betonung der Gefahr darstellen und ist nicht in Balázs Sinne. Da die Schatten aber sehr natürlich wirken, erzeugen sie Stimmungsbilder. Somit kann man hier von einem beseelten Raum sprechen. Laut Balázs zeigt ein beseelter Raum Landschaft, die durch die Auswahl der Motive, der Einstellungsgröße und Beleuchtung einen Ausdruck bekommt. Dies ist auch hier der Fall: Zunächst die Großaufnahmen, dann die Schatten, die durch die Beleuchtung bestehen und der Fokus auf die Schauspieler.

d. Bildfolge
Auch die Bilderfolge ist für Balázs wichtig, er meint: „Jedes Bild muss einer Richtung folgen, dass unsere Neugierde orientiert.“
Die Bildfolge bei Pabst erzeugt Spannung und gibt dem Zuschauer immer ein Stück mehr. Die Großaufnahme der Gesichter, dann die Großaufnahme auf die Waffe – so merkt der Zuschauer was in den Schauspielern vorgeht, aber auch warum dies passiert. Das Schuss-Gegenschuss-Prinzip zeigt beide Schauspieler einzeln. Dann werden sie zusammen gezeigt. Die Bildfolge ist logisch und erzeugt Spannung, die Bilder gehen ineinander über.

e. Impressionismus
Balázs ist Vertreter des Impressionismus. Im Impressionismus muss man verschiedene Einstellungen, Positionen und Detailaufnahmen zeigen. All das erfüllt Pabst. Er zeigt Großaufnahmen der Gesichter und der Handlung, er wechselt die Position. Die Kamera zeigt einmal den Blick von Lulu, dann wieder den des Mannes. Es wird auch die Perspektive geändert. Neben Detailaufnahmen gibt es auch halb nahe Aufnahmen, auf denen Beide aus verschiedenen Blickwinkeln gezeigt werden. Der Rezipient sieht durch die Kameraführung nur einen Teil des Ganzen, und soll den Rest durch seine Fantasie ergänzen. Dies ist auch im Sinne von Balázs.

f. Lulu
Für Balázs wäre Louise Brooks laut Kritikern eine zu flache Schauspielerin gewesen. Sie spricht zwar mit ihrem Ausdruck und mit ihrem Gesicht, aber nicht in dem Ausmaß in dem Asta Nielsen ihren Körper einsetzt. Lulu wirkt vorwiegend schüchtern und kindlich, vielleicht auch etwas passiv, so kritisierten viele ihren Schauspielstil in diesem Film. Dennoch wirkt Lulu anwesend und setzt ihren Körper und ihre Mimik ein. Ihr Körper verkrampft sich und ihr Gesicht zeigt die Angst.

g. Neue Sachlichkeit
Pabst ist Vertreter der neuen Sachlichkeit, hierbei stehen die Gesellschaft und nicht das Individuum selbst im Zentrum des Filmes, ebenso kann es zu einer Aufwertung eines Ortes oder eines Gegenstandes kommen. Man bewegt sich weg vom Expressionismus und will die Dinge objektiv behandeln. In dieser einen Szene wird Lulu als unschuldige, junge Frau gezeigt, dies passiert durch ihr Auftreten, ihre Perlenkette und ihr weißes Kleid. Der Mann wird bedrohlich dargestellt, indem er plötzlich auftaucht und man häufig nur sein Gesicht sieht. Die Dinge werden in ihrer Natürlichkeit gezeigt.

3. Zusammenfassung

„Die Büchse der Pandora“ ist ein Film, der Balázs im Großen und Ganzen doch gefallen hätte. Pabst arbeitet mit Großaufnahmen und beseelt den Raum durch die naturalistische Darstellung, die Kameraführung und die Lichtgebung. Die Darstellung der Lulu wird teilweise zwar von den Kritikern als passiv angesehen, dennoch wirkt sie anwesend und setzt ihren Körper ein um Dinge auszudrücken. Pabst zeigt die Dinge und erzeugt Stimmungsbilder.

Anmerkung: Wer den Ganzen Film sehen will, kann ihn sich auf YouTube anschauen. Es sind alle Teile vorhanden.
Quellen:
Balázs, Béla: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films. Suhrkamp. Frankfurt am Main. 2001.
Koch, Gertrud: Die Physiognomie der Dinge. Zur frühen Filmtheorie von Béla Balázs. In: Frauen und Film. Stroemfeld/Roter Stern. Frankfurt. 1986.
Youtube: http://www.youtube.com/watch?v=wl_0wf4Zi9A&feature=related

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